2025-10-06
Zwischen Szenario und Realität: Warum ein russischer Angriff auf die Schweiz kein plausibles Risiko ist
1 Einleitung
Ausgangspunkt dieses Beitrags ist ein in sozialen Medien verbreitetes Szenario, das eine konventionelle russische Invasion der Schweiz behauptet. Solche Darstellungen erzielen Aufmerksamkeit, sind jedoch analytisch schwach fundiert. Ziel dieses Beitrags ist eine nüchterne Einordnung entlang strategischer, operativer und politischer Kriterien sowie ein Hinweis auf die tatsächlich relevanten Risikodimensionen für die Schweiz.
2 Strategische Anreize und politische Kosten
Fehlender strategischer Nutzen: Aus russischer Sicht existieren weder territoriale Ansprüche noch ein klarer militärischer oder politischer Gewinn, der die enormen Kosten einer Invasion rechtfertigen würde. Die Schweiz hat zwar Sanktionen mitgetragen, stellt jedoch kein militärisches Ziel mit kriegsentscheidender Wirkung dar.
Eskalationsrisiko mit Drittstaaten: Jeder Landkorridor zur Schweiz führt über souveräne Staaten, darunter NATO-Mitglieder (z. B. Deutschland, Italien, Frankreich) oder EU-Staaten (z. B. Österreich). Ein solcher Vorstoss würde mit hoher Wahrscheinlichkeit eine kollektive Reaktion auslösen und das Kosten-Nutzen-Kalkül weiter verschlechtern.
Internationale Signalwirkung: Ein Angriff auf einen neutralen, hochvernetzten Staat würde die diplomatische Isolation ausweiten, zusätzliche Sanktionen auslösen und die langfristige strategische Position Russlands schwächen
3 Operative Realitäten
Kräftebindung: Das russische Militär ist im Ukrainekrieg materiell und personell erheblich gebunden. Substanzielle Offensivkapazitäten für eine zusätzliche kontinentale Operation sind nicht erkennbar.
Logistische Unwahrscheinlichkeit: Ein Vorstoss über mehrere tausend Kilometer an feindlicher und neutral-feindlicher Infrastruktur vorbei ist operativ komplex. Die Versorgung über verlängerte und verwundbare Linien durch gebirgiges Terrain wäre kaum aufrechtzuerhalten.
Topographie und Verteidigungsdispositiv: Die Alpenregion begünstigt die Defensive. In Kombination mit Schweizer Territorialverteidigung, Milizsystem und vorbereiteten Sperren sinkt die Erfolgswahrscheinlichkeit konventioneller Offensiven weiter.
4 Relevante Bedrohungslage: Hybrid und subkonventionell
Die aktuellen Schweizer Lageeinschätzungen verorten die Hauptrisiken im Bereich hybrider Einflussnahme:
Desinformation und Informationsoperationen: Ziel ist die Erosion gesellschaftlicher Kohäsion, die Delegitimierung politischer Institutionen und die Beeinflussung von Entscheidungsprozessen.
Cyberbedrohungen: Finanzinfrastrukturen, kritische Versorgung (Energie, Gesundheit, Transport) und staatliche Stellen bleiben prioritäre Ziele.
Spionage und Beschaffung: Als Finanz- und Innovationsstandort sowie als Host internationaler Organisationen ist die Schweiz attraktiv für nachrichtendienstliche Aktivitäten.
5 Eskalationsrisiko Nuklearwaffen: geringer, aber nicht null
Im Kontext des Ukrainekriegs besteht eine geringe, jedoch nicht auszuschliessende Wahrscheinlichkeit nuklearer Eskalation:
Drohkulisse und Signalisierung: Offizielle und semi-offizielle Verlautbarungen haben wiederholt nukleare Optionen angedeutet. Dies dient primär Abschreckung und Zwangsdiplomatie.
Taktische Nuklearwaffen: Das Risiko eines begrenzten Einsatzes bleibt gering, ist aber als Szenarioklasse in sicherheitspolitischen Analysen zu berücksichtigen. Internationale Institute wie SIPRI verweisen auf die Modernisierung nuklearer Arsenale und eine insgesamt verschlechterte Rüstungskontrollumgebung (vgl. SIPRI Yearbook 2024).
Strategische Stabilität: Ein grossflächiger nuklearer Schlagabtausch bleibt aufgrund wechselseitig gesicherter Vernichtung sehr unwahrscheinlich, kann jedoch in Krisendynamiken durch Fehlkalkulationen theoretisch näher rücken.
6 Medienkompetenz und Szenario-Plausibilität: eine Kurz-Checkliste
Um alarmistische Narrative einzuordnen, sind folgende Fragen hilfreich:
Strategische Logik: Welcher konkrete Nutzen entsteht dem Aggressor? Ist er grösser als die erwartbaren Kosten und Risiken?
Zugangswege und Eskalation: Welche Grenzen würden überschritten, welche Bündnismechanismen (z. B. NATO) würden aktiviert?
Ressourcenlage: Sind verfügbare Kräfte, Logistik und industrielle Basis ausreichend für das behauptete Vorhaben?
Topographie und Verteidigung: Begünstigt das Gelände den Angreifer oder den Verteidiger?
Quellenlage: Stützen belastbare Berichte (z. B. sicherheitspolitische Regierungsberichte, Think-Tanks, Peer-Review-Studien) die These, oder handelt es sich primär um Meinungen und Clickbait?
7 Fazit
Aus analytischer Perspektive fehlt einem Szenario einer russischen Invasion der Schweiz die Plausibilität.
Strategische Anreize sind nicht erkennbar, operative Voraussetzungen nicht gegeben, und die geopolitischen Kosten wären prohibitiv hoch. Die für die Schweiz relevanteren Risiken liegen im hybriden Bedrohungsspektrum (Desinformation, Cyber, Spionage) sowie in der systemischen Unsicherheit durch die nukleare Dimension des Ukrainekriegs, bei insgesamt geringer Eintrittswahrscheinlichkeit, aber hoher potenzieller Schadenshöhe.
Referenzen
Center for Security Studies (2025): Study “Sicherheit 2025”: https://css.ethz.ch/en/center/CSS-news/2025/06/sicherheit-2025.html
Sicherheitsbericht Schweiz (2025): https://www.vbs.admin.ch/en/publication?id=8az7kEQdYnbi
SIPRI Yearbook (2025): Armaments, Disarmament and International Security: https://www.sipri.org/sites/default/files/2025-06/yb25_summary_en.pdf
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Voss, Rödiger (2023): Autokratien politökonomisch erklärt. utb: München und Konstanz. oder online https://elibrary.utb.de/doi/pdf/10.36198/9783838560045-1-9
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